Zur Gestaltung von Aufgaben für Barockpferde

Für Barock-Pferde, welcher Rasse auch immer, sollte man für Wettbewerbe wie für die tägliche Arbeit andere Aufgaben konzipieren als die den Warmblütern auf den Leib geschriebenen Dressurprüfungen aus dem Aufgabenheft der FN, um ihren besonderen Qualitäten gerecht zu werden. Newcastle würde vielleicht sagen: einen Geigenvirtuosen sollte man nicht nach seinen Qualitäten als Pauker beurteilen. Um Missverständnissen vorzubeugen, selbstverständlich müssen Barockpferde in allen Gangarten durchlässig und zuverlässig regulierbar sein, schon um mit ihnen harmonische Ausritte genießen zu können, man sollte Barockpferde und Reiter aber nicht mit Anforderungen konfrontieren, die sie gewöhnlich nicht oder nur mit Mühe erfüllen können. Barockpferde zeigen auf Grund ihrer Mechanik von Ausnahmen abgesehen insbesondere nicht den für eine hohe Wertnote in FN-Aufgaben unabdingbaren großen Raumgriff. Je länger ich mich mit der Reitkunst aus Renaissance und Barock beschäftige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass wir, wenn wir klassisch-barock reiten wollen, uns auf die Autoren aus dieser Zeit verlassen können. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich ihre Kunst nicht auf gleichem Niveau befand wie die von Michelangelo, Shakespeare, oder Monteverdi.
Warum also nicht Aufgaben entwerfen, die sich an den von ihnen vorgeschlagenen Lektionen orientieren und die sie zu Ausbildungszwecken aber auch zur Schau genau beschreiben und empfehlen. Sie lassen, wie mir scheint die besonderen Stärken iberischer Pferde gut zur Entfaltung kommen, nämlich ihre Wendigkeit und ihre Versammlungsbereitschaft. Sechzig Meter starker Trab und ein Schritt, der vor dem Pflug gute Dienste tun würde, gehören nicht dazu.
Wir finden bei verschiedenen Autoren Beschreibungen, wie die Vorstellung eines Schulpferdes vor Zuschauern aussehen sollte. Neben anderen macht Grisone genaue Angaben darüber. Von Richtern, Wertnoten und Schleifen ist allerdings nicht die Rede, wohl aber vom Fürsten und anderen sachkundigen Beobachtern, deren Platz jedoch nicht bei C an der Stirnseite sondern an der langen Seite der Reitbahn sein sollte. Auch an Käufer wird gedacht. Stelle dein Pferd so vor, dass du es kaufen würdest, schreibt er. Eine Bande kannte man nicht, reitet also auch nicht vorwiegend auf dem Hufschlag sondern legt die Figuren frei und entsprechend dem zur Verfügung stehenden Platz an. Er wünscht sich dezente Hilfen mit Händen, sie sollten unsichtbar das Pferd soll mit dem Körper, bzw. der Mittelpositur geführt werden, wie wir es uns wünschen, wenn auch nicht immer erreichen. Gegrüßt wird zur Seite nach rechts durch Aufstellen der Gerte und Neigen des Kopfes. Zu den einzelnen Übungen sind neben den Beschreibungen auch Zeichnungen vorhanden wie die nebenstehende aus der italienischen Erstausgabe von Grisone, sodass wir sie genau nachvollziehen können. Die anderen hier abgebildeten stammen zumeist aus der von Thomas Bedingfield angefertigten Übersetzung des Werkes von Claudio Corte, weil sie grafisch schöner gestaltet sind.
Diese Figur nennt Corte serrato e lungo (eng und weit). Sie kann im Trab und Galopp geritten werden und scheint mir insbesondere im Galopp sinnvoller als eine Acht aus zwei genauen Kreisen, wie sie heute geritten wird, da man eine längere Strecke zum Geraderichten hat, auf der man einfache oder mehrfache Wechsel ausführen kann. Reitet man in den Scheitelpunkten eine Pirouette, ergibt sich eine ansehnliche Galoppreprise. Im Schritt oder Trab kann man in den Scheitelpunkten jeweils Kurzkehrtwendungen oder kleine Volten ausführen. Weiter Figuren sind zum Beispiel das Schlängeln (serpeggiare) und die und die Ringe (rote), ebenfalls Lektionen, die sich als Bestandteile einer Aufgabe für Barockpferde bestens eignen würden. Mann könnte sie im Trab mit Seitengängen und im Galopp mit fliegenden Wechseln aufwerten.
Besonders vielfältig zu gestalten ist eine Figur, die Corte Caragolo oder Lumaca nennt. Er schreibt dazu: ( aus: Claudio Corte: il cavallerizzo, zweites Buch, Kap.3)

Wie man einem jungen oder auch älteren Pferd die Caragolo oder Lumaca lehrt und was damit erreichen kann.

Nachdem du wie zuvor beschrieben dein junges Pferd auf den Ringen gearbeitet hast, und es dort sicher trabt, solltest du ihm einen Zaum mit einem einfachen Hohlgebiss anlegen, das für sein Maul und seine Statur passend gemacht ist. Reite es damit zunächst zwanzig Tage. Gehe dann mit ihm sanft und zwanglos zuerst im Schritt, dann im Trab auf einem großen Zirkel und verkleinere diesen nach und nach bis auf die Größe von einer Rute (ca. 1,2m), wechsle dann die Hand und erweitere den Zirkel bis zu der Größe, mit der du begonnen hast. Dann reite gerade auf derselben Hand in die andere Schnecke. Verkleinere sie auf dieselbe Weise, wie du es in der anderen getan hast. Wechsle dann wieder die Hand, erweitere die Schnecke wieder und reite in die andere Schnecke. Fahre so fort bis es dir genug scheint. Dann sollst du (nachdem du dein Pferd zunächst in der Mitte der Schnecke ein wenig stehen gelassen hast) geradeaus weiter reiten und in dem kleinen Ring durchparieren. Reite dann zwei oder drei kleine Volten um dein Pferde auf der Seite zu biegen, die dir am sinnvollsten erscheint. Reite dann im Schritt mehrmals auf der geraden Linie, die du auf der Zeichnung siehst, bis zu dem anderen kleinen Zirkel. Sollte dein Pferd dabei von sich aus versuchen zu halten, reite noch zwei Schritte weiter und wende erst dann. Danach reite im Trab von dem einen kleinen Zirkel zum anderen und wende dort jeweils. Ebenso wie du im Schritt solltest du dies acht oder zehn Mal im Trab wiederholen. W du an das Ende der Bahn zu einem der kleinen Zirkel kommst pariere aus dem Trab durch, reite dann sofort noch eine halbe Reitbahnlänge und beendet die Arbeit auf der Hand, die dir am sinvollsten erscheint, pariere dort sanft durch und steige sofort ab. Diese Art von Lektionen, die für jedes Pferd geeignet ist, nenne ich Caragolo oder auch Lumaca ( beides bedeutet Schnecke ), weil sie an deren Form erinnert. Führe dein Pferd dann vom Reitplatz weg. Aber um diese Lektionsfolge besser zu verstehen betrachte die beigefügte Zeichnung.
Der Nutzen, der sich aus dieser Lektion ergibt, ist groß, viel größer als der, der sich aus der vorher beschriebenen Arbeit auf den Ringen ergibt, denn man erreicht alle Ergebnisse genauso aber mit mehr Leichtigkeit und in weniger Zeit. Man bringt das Pferd zu guter Ordnung im Wenden und dem Reiten von Lektionen auf geradem Hufschlag. Daneben ist es eine gut anzuschauende und gefällige Bewegung, denn es kann nicht bezweifelt werden, dass das Reiten auf Zirkeln, die man nach und nach verkleinert, wobei man die Pferde soweit versammelt, dass sie nahezu auf der Stelle treten, in den Augen der Zuschauer den Eindruck wunderbarer Schönheit hervorruft und ihnen großes Vergnügen macht, sei es im Schritt oder Trab oder im starken und versammelten Galopp. Auch beweist eine derart kunstvolle Bahnfigur ohne jeden Zweifel große Mühelosigkeit, Gewandtheit, Leichtigkeit, guten Mut, Stärke und Gehorsam des Pferdes, ebenso aber auch große Meisterschaft und Geschicklichkeit des Reiters. Man kommt dabei zu besseren Resultaten als es auf den bisher erwähnten Ringen. Ich möchte mehr sagen zur Empfehlung dieser Lektion, durch deren Gebrauch ein Pferd willig und gehorsam gemacht werden kann, was zwar auch durch das Reiten auf zwei oder drei Ringe zwar erreicht werden könnte, jedoch mit mehr Mühe. Wer dem zustimmt, wird erkennen, dass mit Hilfe der Caragolo ein Pferd auch lernen wird, auf der Erde zu wenden, was die Italiener Raddoppiare terra terra nennen. Ich empfehle daher jedem Pferdeausbilder aus den zuvor genannten Gründen sein Pferd mehr in dieser als in den anderen Lektion zu arbeiten, sowohl aus den genannten Gründen als auch, um es ausdauernd und gehorsam zu machen, aber auch wegen vielen anderen Gründen, deren zu viele zu sind, um sie hier zu aufführen zu können.

Corte beschreibt hier nichts anderes als eine Dressuraufgabe von besonderem Reiz für Zuschauer, die auf vielfältige Wiese, dem Ausbildungsstand des Pferdes angemessen, variiert werden kann. Auch Piaffen und Schulen über der Erde könnten in den Mittelpunkten der Schnecke oder auf der Geraden gezeigt werden, dort ist auch Platz für Serienwechsel, Passage, Trabverstärkungen oder erweiterte Galoppsprünge in einer Karriere.
Es spricht selbstverständlich nichts dagegen, andere Figuren und Aufgaben für Brockpferdeprüfungen zu entwerfen, nicht jedes Turnier muss als Barockfest gestaltetet werden mit original barocken Aufgaben. Jede ausreichend große Fläche ist als Austragungsort möglich, eine aufwendige Abgrenzung, die den Blick auf das Pferd beeinträchtigt, wird nicht benötigt. Ein Schlossplatz oder ein Areal in einem Barockgarten ist sicher ein schönerer Rahmen als ein Viereck 20 mal 40 auf einem Reitturnier. Die Konzeption der Figuren, die die barocken Autoren erdacht haben, gestattet große Freiheit in der Gestaltung und erscheint mir für Barockpferde sinnvoller als das bloße Nachreiten von Lektionen und Aufgaben aus dem Dressursport.
zurück zur [ Hauptseite] Autor: Klaus Scheele